- Aktuelle Ereignisse in Hessen
Der Mord an dem Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Faschisten reiht sich in eine Reihe von faschistischen Verbrechen und Gewalttaten in Hessen und bundesweit ein. In Hessen machten in den letzten Monaten rechte Netzwerke in der Landespolizei Schlagzeilen. Es ist davon auszugehen, dass diese Nachrichten nur die Spitze des Eisbergs der faschistischen Organisationsstrukturen im hessischen Sicherheitsapparat sind.
Im Juni 2018 wird ein Gewerkschafter bei einer Demo gegen Beatrix Storch in Hanau bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Im Oktober zieht ein Anhänger der AFD gegen einen Gegendemonstranten in Frankfurt eine Schusswaffe. Die NSU-Opferanwältin Basay Yildiz bekommt zwischen Sommer 2018 und Frühling 2019 vier Morddrohungen per Post mit „NSU 2.0“ unterzeichnet. Vermutlich haben Polizisten des 1. Frankfurter Polizeireviers ihre Adresse herausgegeben. Obwohl der Fall bereits im Sommer polizeilich bekannt wird, wird er erst im Dezember öffentlich gemacht und auch dann erst wird der Fall vom LKA übernommen und im hessischen Innenministerium behandelt. Vorher wird er totgeschwiegen und scheinbar nicht ernst genug für das LKA genommen. Im November gibt es Bombendrohungen gegen hessische Gerichte unterschrieben mit „NationalSozialistischeOffensive“ und Brandanschläge gegen linke Projekte in Frankfurt.
2. Verstrickung von staatlichen Institutionen und rechten Strukturen
Weder der Staat noch seine Organe auf Landesebene, wie der hessische Verfassungsschutz, sind unser Freund und Helfer im antifaschistischen Kampf. Das zeigen uns besonders deutlich die Verstrickungen des Landesamtes für Verfassungsschutz in die NSU-Mordserie. So war der hessische V-Mann Andreas Temme betraut damit, sich dienstlich mit den NSU-Morden zu beschäftigen. Er war „zufällig“ am Tatort als Halit Yozgat im Rahmen der NSU-Mordserie 2006 in Kassel ermordet wurde. Er verließ zur Tatzeit den Tatort, habe aber Halit Yozgat weder lebend noch tot gesehen, was aufgrund der Verhältnisse am Tatort unmöglich zu sein scheint. Außerdem wurden Schmauchspuren einer Munitionsart auf seinen Handschuhen gefunden, die selten verwendet wird, aber bei dem NSU-Mord in Kassel verwendet wurde. Obwohl die Tatwaffe zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, erwähnte Temme schon ein paar Tage nach dem Mord, dass dieser mit einer Waffe begangen worden sei, die auch in der bundesweiten Mordserie genutzt werde. Ermittlungen gegen ihn wurden vom damaligen hessischen Innenminister, Volker Bouffier, systematisch verhindert.
Und dieser „Skandal“ ist kein Einzelfall in der bundesdeutschen Geschichte.
Die Verknüpfung des Staates mit rechten Strukturen zeigte sich auch in den beiden NPD Verbotsfahren, insbesondere in dem von 2003. Das Bundesverfassungsgericht wollte die NPD nicht verbieten, weil der Verfassungsschutz diese Partei unterwandert und möglicherweise gesteuert habe. Der V-Mann Tino Brandt, zugleich Landesvorsitzender der NPD Thüringen, war in den 1990er Jahren maßgeblich an dem Aufbau der Neonazigruppe „Thüringer Heimatfront“ beteiligt (die somit auch von den Geldern des Verfassungsschutzes finanziert wurde mit ca. 200.000 DM). Die NSU-Mitglieder Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hielten sich im Umfeld dieser faschistischen Organisation auf.
Man sieht, dass wenn der Verfassungsschutz in die Überwachung rechter Strukturen investiert, das zur finanziellen Stärkung und stärkeren Verstrickung zwischen rechten Strukturen und staatlichen Institutionen führt. Deswegen ist es auch nicht als konsequenter, antifaschistischer Kampf zu bewerten, wenn die AFD von diesem Staat zwar nicht als verfassungsfeindlich erklärt, aber trotzdem Teile der AFD vom Verfassungsschutz überwacht werden. Bereits jetzt ist die Verflechtung zwischen der AFD und diesem Staatsapparat eng. So treten bei der Landtagswahl in Thüringen auf der Liste der AFD fünf Polizisten an und auch bisher sitzen überdurchschnittlich viele Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Soldaten für die AFD in Parlamenten. Der Staatsanwalt Thomas Seitz sitzt für die AFD im Bundestag und fürchtet die Vernichtung des deutschen Volkes durch Merkels Politik. Der Polizeiausbilder Wilhelm von Gottberg (ebenfalls für die AFD im Bundestag) sagt, der Holocaust sei ein wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen. Jens Maier ist Richter am Landgericht Dresden (für die AFD im Bundestag) und redet von „Mischvölkern“ und „Schuldkult. Dieser Staat sieht eine Partei, in deren Namen solche Aussagen getätigt werden also nicht als verfassungsfeindlich und solche Leute als Beamte (die zur Verfassungstreue im ´besonderen Maße verpflichtet sind) tragbar, während Organisationen wie die VVN -BDA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund deutscher Antifaschisten) kriminalisiert werden und ihnen die Gemeinnützigkeit entzogen werden soll, weil sie in diesem Gesellschaftssystem, das Armut und Ungerechtigkeit hervorbringt, die Wurzeln für den Rechtsruck sehen
3. Funktionen rechter Gruppierungen für das Kapital
Der Begriff Funktion bedeutet Aufgabe, die diese Gruppierungen objektiv (das heißt unabhängig von ihrem Willen) im Interesse des Staates der Kapitalisten übernimmt. Faschisten haben die „Einschüchterungs- und Hilfspolizeifunktion“, das bedeutet, dass sie fortschrittliche Kräfte, die gegen Demokratieabbau kämpfen oder Gewerkschafter, die für bessere Arbeitsbedingungen und Umverteilung kämpfen, durch Gewalt einschüchtern und damit schwächen. Genau das ist die Wirkung, wenn man sich die aktuellen Vorkommnisse aus dem ersten Abschnitt in Hessen anschaut. Die NSU-Mordserie richtete sich nicht nur gegen Menschen mit migrantischen Wurzeln. Auf den Listen möglicher Anschlagsziele befanden sich auch Funktionäre fortschrittlicher Organisationen.
Rechte Gewalt und Anschläge können die sogenannte „Destabilisierungsfunktion“ haben, durch den die Faschisten den Staatsapparat und seine Institutionen soweit delegitimieren, dass eine Machtübertragung an die Faschisten vereinfacht wird. Dass es Teile des Kapitals gibt, für die eine autoritärere Herrschaftsausübung gewinnbringend wäre, zeigt sich zum Beispiel, wenn der Politologe Herfried Münkler einen Artikel unter der Überschrift „Lahme Dame Demokratie“ in der Zeitschrift „Internationale Politik“ veröffentlicht und dort ausführt: „.. die Anhängerschaft diktatorischer Vollmachten rekrutiert sich aus denen, die sich davon Vorteile versprechen“ und von Managern und Industriellen berichtet, die mit leuchtenden Augen von China sprechen, nicht weil sie Kommunisten geworden wären, sondern, weil sie meinen, so schneller zum Zug zu kommen – also die Abkürzung von Verwaltungsabläufen und demokratischen Verfahren.
In eine ähnliche Richtung geht die Erklärung vom Tag der deutschen Industrie, vom Bund deutscher Industrieller (BDI) ausgerichtet, in der es heißt: „Konjunktur kommt, Bürger und Wirtschaft verlangen nach einem überzeugenden Staat, der für sie da ist und Angebote für die Zukunft macht.“ Spannend bei diesem Zitat ist, dass es hier eben nicht nur um einen Regierungswechsel geht, sondern tatsächlich um die Veränderung des Staates. Die Banken und Konzerne sind zwangsläufig sinkenden Profitraten ausgesetzt. Umso wichtiger ist, sich (auch militärisch) gegen die internationale Konkurrenz durchzusetzen und möglichen Widerstand der Arbeiterklasse gegen ihre Ausbeutung vorzubeugen. Deshalb brauchte und braucht es Hartz IV, um sich im internationalen Konkurrenzkampf durch Senkung der Lohnstückkosten Vorteile zu schaffen, Aufrüstung, Sparmaßnahmen (bei Bildung, Gesundheit, sozialem Wohnungsbau, etc.). Gegen den zu erwartenden Widerstand im Inneren werden vorrausschauend die Befugnisse der Sicherheitsbehörden, wie durch Polizeigesetze, ausgebaut. Diese Maßnahmen werden von allen Parteien des bürgerlichen Spektrums initiiert und durchgeführt. Aber diese Parteien verlieren immer mehr an Integrationskraft. Integration heißt, dass die Parteien und die bürgerliche Demokratie Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei der Bevölkerung genießen und deswegen durch diese in das System integriert werden anstatt es grundsätzlich in Frage zu stellen und zu bekämpfen. Das sieht man nicht zuletzt an den ständigen Reibungen und Regierungskrisen in der großen Koalition, die aus den Versuchen beider Parteien resultieren, nicht an Bedeutung, Anhängerschaft und „Macht“ (Posten, Einfluss im Staatsapparat, Ausbaumöglichkeiten der Parteiapparate, etc.) zu verlieren. Um weiterhin die reibungslose Vermehrung der Profite der deutschen Banken und Konzerne abzusichern, zeigen sich damit faschistische Kräfte und autoritärere Herrschaftsformen als Alternative für das deutsche Kapital.
Rechte und faschistische Gruppierungen sind oftmals Vorwand für reaktionäre Politik bürgerlicher Parteien, wenn es darum geht, sich auf Forderungen aus der Öffentlichkeit zu berufen. Des Weiteren sorgen sie dafür, dass reaktionäre Forderungen salonfähig werden und treiben reaktionäre Maßnahmen voran. Zum anderen lässt sich an ihren Aktivitäten ablesen, wie gut es faschistischen Gruppierungen gelingt, Zustimmung für ihre Forderungen zu bekommen. Diese Beobachtungen lassen sich durch Beispiele aus der Praxis leicht belegen.
Unter anderem macht „Der Dritte Weg“ Aktionen nach dem Motto: „Deutschland wurde nach dem zweiten Weltkrieg ein Teil seiner Heimat geraubt, den wir zurückwollen“. Die NPD fordert schon lange die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Rechte Gruppierungen fordern, deutsche Soldaten nur für „deutsche Interessen“ einzusetzen – das heißt unabhängiger vom US-Imperialismus nur noch für die Interessen deutscher Banken und Konzerne. Parallel wird das NATO 2%-Ziel durch die Bundesregierung angenommen, die Forderung nach Wehrpflicht kommt verstärkt wieder aus der CDU/CSU und in militärstrategischen Papieren und von Politikern aus dem Verteidigungsministerium kommen die Forderungen nach einer eigenständigen Außenpolitik unabhängiger von der USA geführten NATO.
Die NSU-Mordserie und die währenddessen vorgekommenen „Pannen“ werden als Vorwand genommen, um den hessischen Verfassungsschutz personell und mit mehr Befugnissen massiv
aufzustocken.
Die Antwort der Politik auf den Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Rostock-Lichtenhagen war ein Asylkompromiss, in dem das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf Asyl massiv eingeschränkt wird. Vergleichbar ist die Reaktion auf vermehrte rechte Gewalt und Zuspruch für rechte Gruppierungen, wenn immer mehr Länder als sichere Herkunftsländer erklärt werden, in die abgeschoben werden darf, an der bayrischen Grenze das Schengen-Abkommen ausgesetzt wird und Seenotrettung kriminalisiert wird.
4. Widerstand organisieren
Das Erstarken rechter Kräfte und die spürbaren Folgen in der Stimmung von Teilen der Bevölkerung haben Ursachen. Die Lebensbedingungen für die Mehrheit werden zunehmend geprägt durch Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Abstiegsängste. Gleichzeitig sind die Klassenkämpfe auf einem niedrigen Niveau. Gewerkschaften werden organisatorisch immer schwächer und schaffen es mit ihrem sozialpartnerschaftlichen Kurs nicht, viel für die Lohnabhängigen herauszuholen. Für weniger als 50% der Beschäftigten gelten bundesweit tarifliche Regelungen. Die Konkurrenz untereinander nimmt zu. Leiharbeit, Outsourcing und die Entwertung von Qualifikationen gepaart mit immer weniger kollektivem (gewerkschaftlichem) Widerstand führen dazu, dass jeder glaubt, für sich individuell um einen (besseren) Arbeitsplatz kämpfen zu müssen. In dieser Situation wird das Gefühl der Gemeinsamkeit, die das Kapital durch den Standortnationalismus (Die Logik, dass, wenn es der deutschen Wirtschaft gut geht, geht es den Werktätigen gut) bietet, bereitwillig aufgenommen. Abgrenzungen, wie gegen Flüchtlinge oder faule Arbeitslose, steigern das Selbstwertgefühl wieder. Sie sind willkommene Sündenböcke und verschleiern den eigentlichen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit als Ursache für die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen. Folglich sind das für bestimmte Teile großer Banken und Konzerne gute Ausgangsbedingungen, das subjektive Empfinden der Unsicherheit und des Bedroht-Seins, die Unzufriedenheit in für sie genehme Bahnen zu lenken – also nach rechts.
Um den Rechtsruck aufzuhalten, müssen unsere Kämpfe stärker und erfolgreicher werden, um zu zeigen, dass wir unsere Lebensbedingungen nur verbessern können, wenn wir kollektiv (auch mit ausländischen Kollegen) gegen die großen Banken und Konzerne und ihre Politiker darum kämpfen. Dabei kann es allerdings nicht nur um ökonomische Verbesserungen gehen. Politische Kämpfe zur Verbesserung der Lage aller Werktätigen, wie die gesetzliche Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, sind in die alltäglichen Auseinandersetzungen einzubringen. Des Weiteren muss der Kampf um demokratische Rechte und gegen konstant laufenden Demokratieabbau in den Betrieben, Gewerkschaften, Schulen und Universitäten geführt werden. Um die bürgerliche Demokratie zu schützen, die für uns bessere Kampfbedingungen für bessere Lebensbedingungen und für den Sozialismus ermöglicht, ist zwangsläufig die Forderung nach Verbot aller faschistischen Organisationen und nach Auflösung des Verfassungsschutzes zu stellen und aktiv zu erkämpfen.
Das alles sind natürlich lang- und mittelfristig zu erkämpfende Ziele. Wir müssen damit beginnen, Leute in kleinen, gewinnbaren Kämpfen für ihre unmittelbaren Interessen in Schule, Uni und Betrieb zu aktivieren. Dabei können wir aufzeigen, dass sich gemeinsam aktiv werden gegen die Banken und Konzerne und ihre Politik lohnt und Nazis dabei keine Antworten in unserem Interesse bieten, sondern uns spalten wollen.