Eine Tendenz, die sich schon bei der Landtagswahl in Bayern zeigte, setzte sich auch bei der hessischen Landtagswahl am vergangenen Wochenende durch: Die früheren „Volksparteien“ CDU und SPD haben massive Wählerverluste zu verzeichnen. Sowohl den Grünen, als auch der AFD gelingt es, sich den Wählern als vermeintliche Opposition zu den etablierten Parteien zu präsentieren – entsprechend haben sie einen massiven Wählerzuwachs zu verzeichnen. Ähnliches gilt auch für die FDP, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang.
Vielen Menschen, die sich aktiv gegen Rassismus einsetzen, macht vor allem der starke Wählergewinn der AFD Angst. Statt Angst zu haben, müssen wir uns die Frage stellen, wie es dazu kommt und was wir dagegen tun können.
Was ist unsere Bilanz der Arbeit der hessischen Landesregierung bestehend aus der CDU und den Grünen?
(Die natürlich auch gemacht wird unter den Rahmenbedingungen und der Leitlinie der Politik auf Bundesebene durch die SPD und die CDU).
Die ehemalige hessische Landesregierung sagt selber über sich: „Hessen erfolgreich regiert – bereit für morgen“ und brüstest sich damit:
- Die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung erreicht zu haben
- Die Bildungsausgaben auf einen historischen Höchststand gebracht zu haben
Das hört sich nach starken Leistungen an. Aber was kann dran sein, wenn die Wahlergebnisse für den größeren Koalitionspartner in der letzten Landesregierung (der CDU) in den Keller gehen?
„Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung erreicht.“
Daneben, dass man sich darüber unterhalten kann, wie solche Statistiken schön gerechnet werden können, wurde sich diese Zahl durch einen Ausbau des Niedriglohnsektors und der prekären Beschäftigungen erkauft. Jeder 5. Mensch in Hessen arbeitet im Niedriglohnsektor (das sind 1.200.000 Menschen). Die Tendenz steigt und vor allem Frauen sind davon betroffen. Denn unter den Frauen arbeitet sogar jede dritte Frau im Niedriglohnsektor. Auch außerhalb des Niedriglohnsektors sinkt der Reallohn. Acht von Zehn Jobs, die neu geschaffen werden, sind befristet oder direkt in Leiharbeit. Auch in Hessen sind die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich besonders schlecht. Es fehlen laut Berechnungen von Ver.di 11.000 Stellen.
Auch wenn die Arbeitslosenquote womöglich tatsächlich gesunken ist, heißt das nicht zwangsläufig, dass es weniger Armut gib. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. 1.400 Menschen in Hessen beziehen Einkommen von über einer Million Euro jährlich, während gleichzeitig rund 900.000 Menschen von Armut betroffen oder bedroht sind. Fast jedes fünfte Kind und fast jeder vierte Jugendliche in Hessen lebt in Armut. Besonders problematisch für die vielen Menschen die – mit oder ohne Arbeit – arm sind, sind die explodierenden Mieten. Die Zahl der Sozialwohnungen in Hessen ist in den letzten 25 Jahren von 200.000 auf 90.000 Sozialwohnungen geschrumpft, obwohl der Bedarf an Sozialwohnungen sich je nach Stadt um bis zu 50% der Bevölkerung erhöht hat. Und es geht hier auch nicht um minimale Preisunterschiede: Der durchschnittliche Quadratmeterpreis liegt in einigen, hessischen Städten bei bis zu 20€, während Sozialwohnungen einen Quadratmeterpreis von 5€ – 6,50€ nicht überschreiten dürfen.
Wir fordern von der hessischen Landesregierung:
- Vergabe von staatlichen Aufträgen nur an Unternehmen, die Löhne zahlen, von denen Leben über der Armutsgrenze möglich ist in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen
- Einführung einer Mietpreisbremse und Auflegen eines Investitionsprogramms für den Ausbau von Sozialwohnungen statt Schuldenbremse.
- Das Geld daher nehmen, wo es ist: Bei Millionären, Milliardären und den großen Banken und Konzernen z.B. über die Erbschaftssteuer.
- Mehr Personal im Pflegebereich für die Entlastung der PflegerInnen und für eine menschenwürdige Pflege der PatientInnen
„Die Bildungsausgaben sind auf einem historischen Höchststand.“
Die Bildungslandschaft in Hessen sieht alles andere als rosig aus. In den kommenden Jahren wird sich der Lehrermangel in Hessen weiter verschärfen. Dabei lernt es sich denkbar schlecht und langweilig, wenn man mit 30 Leuten in der Klasse sitzt, denn der Lehrer kann den Unterricht nicht nach den individuellen Interessen und Bedürfnissen der SchülerInnen gestalten.
Bis 2030 soll die Schülerzahl von 630.000 SchülerInnen auf 720.000 SchülerInnen steigen, was zu einem Bedarf an 6.000 LehrerInnen mehr führen wird.
Im Schuljahr 2016/2017 sind 900 hessische LehrerInnen vorzeitig in den Ruhestand gegangen, was die schlechten und vor allem stressigen Arbeitsbedingungen an Hessens Schulen deutlich macht und den Mehrbedarf an LehrerInnen weiter erhöht. Außerdem werden mehr LehrerInnen für einen Ausbau des Ganztagsschulsystems benötigt, um die Schule stärker nach dem Rhytmus und den Bedürfnissen der SchülerInnen auszurichten und ungleiche Chancen durch verschiedene soziale Herkunft etwas auszugleichen.
Der Unwille der Landespolitik in Hessen könnte zum explodieren der ohnehin überlasteten LehrerInnen und überfüllten Klassen führen.
Dieser permanent herrschende und sich weiter verschärfende Lehrermangel führt dazu, dass wenn LehrerInnen wegen dem hohen Druck häufig erkranken, dieser Unterricht aufgrund von fehlendem Personal nicht vertreten werden kann. Was sich erstmal wie ein wahr gewordener Traum für viele SchülerInnen anhört, führt in Wirklichkeit zu viel mehr Stress, weil der Prüfungsstoff für alle Klassen derselbe ist, egal wie viel der Lehrer gefehlt hat. Häufiger Unterrichtsausfall führt des Weiteren dazu, dass SchülerInnen, deren Eltern sie nicht unterstützen können und keine Nachhilfe finanzieren können, noch schlechter abschneiden. Denn diese Kinder und Jugendlichen sind verstärkt darauf angewiesen, dass der Unterricht stattfindet. Hochgerechnet auf alle 996 weiterführenden Schulen kann ein Unterrichtsausfall in der Höhe von 16.480 Schulstunden pro Tag geschätzt werden.
Ein weiteres, krasses Problem an Hessens Schulen ist der bauliche Zustand. Vor den Sommerferien musste eine Schule in Kassel und eine Schule in Neukirchen wegen Einsturzgefahr geschlossen werden. Es geht hier nicht um Einzelfälle. In Deutschland fehlen 48 Milliarden € für die Sanierung von Schulen.
Zum Beispiel die Mehreinnahmen von 660 Millionen € durch Steuern in Hessen hätten etwa 1.500 LehrerInnen für 10 Jahre sein können. Stattdessen wurde mit dem Geld Schulden abbezahlt.
Wir fordern von der hessischen Landesregierung:
- So viele LehrerInnen einstellen, dass 15 Kinder in einem Klassenzimmer gemeinsam lernen, alle Schulen zu Ganztagsschulen werden und die Pflichtstundenanzahl für LehrerInnen reduziert werden kann
- Den kommunalen Investitionsstau in Hessen von ca. 4 Milliarden € beseitigen
Bei dieser Ausgangslage kann man verstehen, dass Angst vor mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt durch Geflüchtete besteht. Aber: Das alles hat die Agenda 2010 von SPD und Grünen möglich gemacht. Die Kassen des deutschen Großkapitals klingen.
Bei dieser Ausgangslage kann man verstehen, dass mehr Geflüchtete in der Schule als Störfaktor wahrgenommen werden, weil sich der Lehrer noch weniger individuell um die Schüler kümmern kann. Aber: Das alles hat die Schuldenbremse und die Unterfinanzierung von Bildung unter Zustimmung aller großen Parteien möglich gemacht. Dafür klingen dann die Kassen der deutschen Rüstungskonzerne, wenn der Rüstungsetat auf 60 Milliarden € ansteigt.
Es sind die großen Parteien mit ihrer Politik, die im Interesse der großen Banken und Konzerne eine Situation in Deutschland schaffen, in der Rassismus wachsen und gedeihen kann. Aber nicht nur das: Sie übernehmen auch die Aufgabe des Demokratieabbaus. Da muss man sich nur das neue, hessische Verfassungsschutzgesetz anschauen, was einer Verschärfung der Überwachung und neuen Berufsverboten gegen Kritiker der herrschenden Politik Tür und Tor öffnet.
Natürlich ist es richtig und wichtig, gegen die AfD auf die Straße zu gehen. Doch ein FCKAFD reicht nicht aus, um die bestehenden Verhältnisse zu bekämpfen. Denn das Ganze liegt im System begründet. Ein gemeinsames FCKAFD mit CDU, FDP, SPD und Grünen verschleiert dabei die wahren Verantwortlichen des Rechtsrucks in Deutschland und dann schafft es die AFD auch zu behaupten, dass sie eine echte Opposition zur aktuellen Politik der etablierten Parteien darstelle. Dass sie das nicht tun, zeigen uns alleine die unsozialen Forderungen der AFD für eine niedrigere Besteuerung der Reichen, gegen eine Erhöhung des Mindestlohns und für mehr Drill und Leistungsgedanke in der Schule.
Die AFD stellt keine Opposition zur herrschenden Politik da, aber auch keine der anderen, etablierten Parteien und durch Wählen allein, ändert sich schon gar nichts:
„Wessen Brot ich fress‘, dessen Lied ich sing‘“
Denn die Abgeordneten sind nicht ihren WählerInnen verpflichtet, sondern allein ihrem Gewissen. Lobbyisten und Unternehmerverbände nehmen Einfluss auf die Parlamente durch Ausschüsse, in denen sie vertreten sind. Oder Parlamentarier schließen Beraterverträge mit Großbanken und Konzernen ab. Das Sprichwort „Wessen Brot ich fress‘, dessen Lied ich sing‘“, ist an dieser Stelle treffend. Da lässt man sich von einem Konzern beraten, was für Politik man zu machen hat und nach der Kariere als Politiker kann man im Konzern sein täglich Champagner verdienen. Für die Konzerne heißt das eben mehr Einfluss für die eigenen Profite. Also sollte man nicht zu viel darauf geben, was die meisten Parteien versprechen. Selbst die scheinbar sozialen Parteien haben unsoziale Gesetze durchgebracht, wie die SPD und die Grünen die Agenda 2010, die Grünen das hessische Verfassungsschutzgesetz, alle Parteien (bis auf die Partei Die Linke) die Schuldenbremse und die Partei Die Linke in Berlin die Privatisierung aller Schulen.
Widerstand organisieren!
Um wirklich was zu verändern, müssen wir schon selber aktiv werden. Wir müssen uns selber für unsere Interessen einsetzen, damit die Parlamentarier durch den öffentlichen Druck gezwungen sind, Gesetze in unserem Interesse zu verabschieden und, damit es uns gelingt mehr demokratische Mitbestimmungsrechte dort zu bekommen, wo wir sind: In Stadtteil, Schule, Uni und Betrieb. So wurden zum Beispiel 2016 300 Lehrerstellenkürzungen im Land Hessen durch öffentlichen Protest in Form von Flashmobs, inhaltlichen Veranstaltungen und Unterschriftensammlungen von Landesschülervertretung, GEW, Landeselternbeirat und Schülervertretungen vor Ort massiv eingedämmt, was auch vor dem Hintergrund der bevorstehenden Landtagswahlen gelang. Das zeigt, Protest kann sich lohnen, aber auch, dass uns nichts geschenkt wird und erkämpften Errungenschaften immer wieder unter Beschuss stehen, so lange in dieser Gesellschaft die großen Banken und Konzerne die Macht haben: Denn viele Lehrerstellenkürzungen kamen schließlich doch durch die Hintertür.
Genau das, machen wir als SDAJ: Dort, wo wir arbeiten, leben und lernen setzen wir uns in der SV, der JAV, der Gewerkschaft oder dem Mieterbündnis aktiv für unsere Interessen ein mit möglichst vielen anderen Menschen zusammen. Egal, ob es um eine bessere Hausaufgabenregelung, die Übernahme der Ausbildungskosten durch den Betrieb, die Lehrerstellenkürzungen oder die anstehende Tarifrunde geht. Dabei machen wir klar: Wir können nicht erfolgreich kämpfen, wenn wir auf die Parlamentarier und gewählten Vertreter vertrauen – wir müssen selber aktiv werden – und wir können nicht erfolgreich kämpfen, wenn wir uns in Deutsche und Nicht-Deutsche spalten lassen. Nicht der Flüchtling ist Schuld an schlechten Arbeits-, Lebens- und Bildungsbedingungen, sondern eine Politik, die nach den Profitinteressen der großen Banken und Konzerne gemacht wird.