Ein Erfahrungsbericht eines Genossen vom 2. Juni in Frankfurt (Blockupy): „Schmerzensschreie und Tränengasschwaden liegen in der Luft. Ein kleines Kind schreit nach seiner Mutter. Sanitäter kümmern sich um einen alten, am Boden liegenden Mann, neben ihm sein Gehstock.
Ein Blutrinnsal dringt unter der Mütze einer älteren Frau hervor. Ein Mädchen humpelt mit schmerzverzerrtem Gesicht davon.
Wo sind wir hier? Wie konnte so etwas geschehen?
Wir sind nicht einem der zahllosen vom Imperialismus gebeutelten (ausgebeuteten) „Krisengebiete“, nicht in Istanbul, nicht in Libyen oder Syrien. Nein. Das Kapital schlägt nun auch hier mit voller Kraft zu. In der Frankfurter Innenstadt bei einer angemeldeten, genehmigten und friedlichen Demonstration.
Alles beginnt am Freitag Morgen. Wir stehen vor der EZB und prangern den Kapitalismus offen an. Das Zentrum der europäischen Krisenpolitik liegt direkt vor uns und ist von allen Seiten blockiert. Hier werden heute keine neuen Spardiktate ersonnen, die in Südeuropa Menschen verhungern und an ihren Krankheiten erliegen lassen. Der Protest ist friedlich, es fliegen Ballons, Seifenblasen und freudige Melodien durch die Luft, viele Menschen tanzen und lachen. Doch die Staatsdiener_innen stören den Frieden immer wieder, indem sie an Transparenten reißen und Protestierende willkürlich drangsalieren. Das erste Pfefferspray kommt zum Einsatz, weil an einem Absperrgitter gerüttelt (!!!) wird.
Dann versuchen die Beamten uns unsere Transparente zu entreißen, doch wir ziehen sie zurück. Daraufhin geht die Staatsgewalt rabiater vor und setzt ihre „Einsatz-Mehrzweck-Stöcke“ gegen uns ein, die viele Blutergüsse und geschwollene Finger hinterlassen. Doch wir lassen uns weder auseinandertreiben noch berauben. Ich sehe, wie ab und an von der anderen Seite des Absperrgitters auf mich gezeigt wird. Es ziehen immer mehr vermummte Polizeikräfte zusammen. Die Absperrung wird an zwei Stellen geöffnet und dann geht alles ganz schnell. Ungefähr 20 menschliche Polizeiroboter stürmen auf unsere Seite, ich höre „Der da!“ und schon werde ich von mehreren Händepaaren gepackt und zu Boden geworfen. Genoss_innen versuchen mich festzuhalten, doch gegen die Schläge sind sie machtlos. Ich halte mich kurz am Gitter fest, doch auch mein Handgelenk gibt unter einem Schlag nach. Dann werde ich zwischen zwei Transporter geschliffen und durchsucht. Die Wasserflasche in meiner Jackeninnentasche wird zunächst für einen Schlagstock gehalten und mir wird „Raub einer Waffe“ vorgeworfen. Ich sage, dass ich mich zu diesen lächerlichen Vorwürfen nicht äußern werde. Zwei Polizisten sehen sich das soeben aufgenommene Videomaterial an und machen sich darüber lustig, wie schlecht wir organisiert seien, und belächeln unsere Solidarität. Nach einer Stunde regen sie sich wütend darüber auf, dass sie Hunger haben, die Verstärkung nicht kommt und kein Gefangenentransporter zur Verfügung steht. Meine Genoss_innen harren immer noch im Regen aus und fordern lauthals meine Freilassung, singen „Bella Ciao“ und denken sich neue Sprechchöre mit meinen Namen aus. Ich fange an zu lachen und frage die beiden Polizisten: „Wer ist denn hier schlecht organisiert und unsolidarisch?“ Die Kriminalpolizei kommt und fragt nach Beweisen. Als ein Polizist sagt: „Ich habe meinen Einsatzstock verloren und wir glauben, dass er ihn hat“, fragt man ihn, ob das ein Witz sei und sagt ihm, dass man hier niemals von Raub sprechen könne und dass sie mich nun mit einem Platzverweis entlassen werden. Ich kehre zu meinen solidarischen Freund_innen zurück und werde herzlich in Empfang genommen.
Zwei Stunden später wollen wir an der vom Verwaltungsgericht bestätigten Demonstration gegen den größten Abschiebungsflughafen Deutschlands teilnehmen. Doch auch hier sind wir der Polizeiwillkür ausgeliefert und werden nicht in den Terminal gelassen. Wir versuchen durch eine Blockade Druck aufzubauen und uns so unser Recht zu erkämpfen, doch die Polizei greift immer wieder zu ihren Knüppeln. So aggressive Menschen habe ich bis dahin noch nie gesehen. Ein älterer Mann flucht aufgrund seiner Verletzungen und beschimpft einen Beamten. Dieser sieht sofort rot und schreit: „Den schnappen wir uns“. Sie stürmen in uns rein und versuchen den alten Mann raus zu reißen. Diesmal sind wir vorbereitet und unterbinden das Vorhaben. Doch leider gelingt das nicht immer. Eine neue Einheit kommt. Die Alte hat sich kaum zurückgezogen, da rennen und springen die Kampfroboter in uns rein, hinterlassen eine Spur der Verletzungen und zwei Lücken in unseren Reihen. Die Gründe dieses massiven Gewalteinsatzes sind für uns nach wie vor nicht ersichtlich. Nach 3 Stunden werden doch noch 200 Menschen in den Flughafen gelassen, doch sie werden wie „Schwerverbrecher“ eskortiert und ihre Transparente verdeckt.
Am nächsten Morgen sammeln sich Tausende auf dem Baseler Platz. 12:20 startet der Demozug, ich höre verschiedenste Sprachen und sehe Unmengen an verschiedenen Fahnen, nur SPD und Grüne lassen sich an diesem Tag nicht blicken. Sie scheinen vollends im Kapitalismus angekommen zu sein und wollen mit Antikapitalist_innen nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Die Gewerkschaften sind dafür um so stärker vertreten und haben die Streikenden von H&M und Esprit auf die Straßen geholt. Auch die SDAJ und DKP waren mit einem großen Block vertreten. Doch 30 Minuten nachdem wir losliefen, hielten wir schon wieder. Uns erreicht die Information, dass die Polizei den „Antikapitalistischen Block“ gekesselt hat und versucht, diesen zum Überkochen zu bringen. Wir beschließen, in die erste Reihe zu gehen und unsere Solidarität kundzutun. Als wir ankommen, sind wir von der Gewalt, die von der Polizei ausgeht, überrascht. Wir stellen uns mit unseren Transparenten vor die Beamten und fordern die Auflösung des Kessels, doch Worte kommen heute nur selten aus den Helmen. Meist sieht man nur ein wütendes Augenpaar und die Hände liegen fast ausschließlich auf ihren Schlagstöcken und dem Reizgas. Aus heiterem Himmel wird auf uns eingeprügelt und die Luft vermischt sich mit Tränengas. Zahllose bekommen keine Luft mehr. Gerade noch unterhalte ich mich mit einem fröhlichen13-Jährigem, doch ihm wird das Lachen mit einem Schlag aus dem Gesicht getrieben. Sein Vater wirft sich vor ihn und steckt den Rest des Schlagstockgewitters ein. Der spontane Überfall hinterlässt viele nach Sanitäter schreiende Menschen in allen Altersgruppen. Auch ein Journalist tastet sich mit seinen Händen nach vorn, weil er Pfefferspray direkt in die Augen bekam. Eine junge Frau neben mir sagt unter Tränen: „Was ist hier nur los? Ich wollte eigentlich selbst mal Polizistin werden, aber das hier sind doch keine Menschen.“ Sieht man in die Augen der Staatsdiener_innen können diese den Blicken meist nicht lange Stand halten. Mittlerweile scheinen einige selbst an den Befehlen ihrer Vorgensetzen zu zweifeln. Eine Polizistin mit vor Angst aufgerissenen Augen blickt auf einen vor ihr am Boden liegenden grauhaarigen Mann. Ihm werden gerade die Augen ausgewaschen und er klagt darüber, dass er nichts mehr sehen kann. Die Polizistin lässt langsam ihre Reizgasdose in die Tasche gleiten und guckt beklommen zur Seite. Emotionale Beziehungen sollen nicht aufgebaut werden und Mitleid darf nicht aufkommen, deswegen wird die Einheit ausgetauscht. Wir versuchen die neue Einheit aus Sachsen in Gespräche zu verwickeln. Wir fragen, ob sich ihre Eltern das Leben im Kapitalismus so vorgestellt hätten. Anfangs nur verwirrte Blicke, dann sagt ein Polizist: „Nein, alles bestimmt nicht…“. Genauer will er darauf zwar nicht eingehen, doch wir haken nach. „Stimmt es, dass man damals keine freie Berufswahl hatte? Waren die Arbeiter_innen wirklich zu faul und wurden Gelder massiv verschwendet?“ Daraufhin lobt der Polizist das Gesundheitssystem der DDR, erklärt uns wie gerne seine Eltern für den Sozialismus gearbeitet haben. Er schwärmt von den Kindergartenplätzen und sagt uns, dass er davon selbst noch profitiert hat. Er gibt zu, dass heute das Kapital für einige wenige erwirtschaftet wird und damals für die Gemeinschaft gearbeitet wurde. Er ist sichtlich verwirrt, als wir ihm sagen, dass wir genau für so eine Welt kämpfen. Doch dann wird er an einen anderen Platz versetzt. Ob das Zufall ist? Nun sehen wir wieder bis an die Zähne bewaffnete und von den Stahlkappenstiefeln bis zum Helm geschützte Roboter vor uns. Ein Demonstrant fragt einen Polizisten, ob er denn Angst vor ihm habe. Darauf hin erwidert dieser: „Nein, wenn Sie mich angreifen, erschieße ich Sie, eine Kugel zwischen die Augen und gut is.“ Diesmal zerfetzen sie unsere Transparente, treten gegen Bäuche, Oberschenkel und Schienbeine. Einige von uns haben mit Asthmaanfällen zu kämpfen. Alle rufen nur noch verzweifelt „Warum, warum, warum?“ und „Wir sind friedlich, was seid ihr?“
Doch es gibt auch einige Lichtblicke. Die Leute vom Schauspielhaus solidarisieren sich mit uns und lassen Eimer mit Essen und Wasserflaschen an Seilen aus den Fenstern hinunter, denn die Staatsdiener lassen weder Nahrung noch Wasser in den Kessel, aber auch Sanitäter und Journalist_innen werden nicht immer durchgelassen. Der Bundestagsabgeordnete Nima Movassat versucht direkt vor uns durch die Polizeiabsperrung zu gelangen. Die Diener_innen des Kapitals fragen ihn mehrfach, von welcher Partei er sei, dies allein ist eine Frechheit. Als dieser dann sagt, dass er von der Partei DIE LINKE ist, wird ihm vorgeworfen, dass sein Ausweis gefälscht sei und er deswegen nicht durch die Absperrung gelassen wird, außerdem soll sein Rucksack durchsucht werden. Auch dies ist durch die politische Immunität rechtswidrig.
Doch Gesetze sind heute außer Kraft gesetzt, über 10.000 Menschen dürfen heute von ihrem Demonstrationsrecht nicht Gebrauch machen, mehrere Hundert werden so stark verletzt, dass sie von Ärzten behandelt werden müssen. Tausend werden ihrer Freiheit grundlos beraubt. Die Polizei begründet ihre Taten immer wieder mit der angeblichen Mitführung von Waffen und Vermummungsgegenständen. Als sie nach 9,5 Stunden die letzten Menschen aus dem Kessel holen, ist der Haufen mit den angeblichen Waffen allerdings lächerlich klein. Es werden ein paar Schilder aus Styropor beschlagnahmt, ein paar Farbbeutel und viele Fahnenstangen. Wie man damit den martialisch ausgerüsteten Polizeikräften wirklich gefährlich werden soll, bleibt ein Rätsel.“
Deswegen: Morgen, 11:30 Uhr, Baseler Platz in Frankfurt: Auf die Straße gehen – gegen Polizeigewalt!
Faschismus, Neofaschimus in Hessen
In diesem Jahr feiern wir 75 Jahre Befreiung vom Faschismus. In Deutschland empfanden vor allem die Überlebenden des Holocaust, der Konzentrationslager, der Zuchthäuser und die befreiten Zwangsarbeiter den 8. Mai als den lang ersehnten Tag der Befreiung. Aber auch wir...